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Mein Corona in Frankfurt am Main (Januar 2020 bis Mai 2023)

Als Ende Januar 2020 die Corona Pandemie Deutschland erreichte, hatte ich noch gar nicht so viel mitbekommen. Ich lag nach drei schweren Stürzen im Jahr 2019 schon mehrere Wochen lang im Frankfurter Markus Krankenhaus: Knochenbrüche, körperliche Einschränkungen, Sturzangst und eine schwere depressive Episode. Da ich meinen Alltag nicht wie gewohnt allein zu Hause aufnehmen konnte, schloss sich unmittelbar an meine Entlassung eine Therapie in der geronto-psychiatrischen Tagesklinik des Krankenhauses an. Dies war mit viel Hoffnung auf Besserung verbunden - doch es kam anders:

Am 22. März 2020 trat der erste Lockdown in Kraft. Am Morgen wurde ich noch wie gewohnt vom Krankenwagen abgeholt. Die Fahrt von Sachsenhausen nach Ginnheim glich einer Geisterfahrt durch eine menschenleere Stadt. Auch in der Klinik herrschte Leere, Totenstille, Türen waren verschlossen, Zugänge verlegt worden. Zusammen mit einer Mitpatientin warteten wir - weit voneinander platziert - in Beklommenheit auf die Aushändigung unserer vorläufigen Entlassbriefe. Dann fuhr man uns zurück nach Hause durch eine fremd gewordene Stadt. Ich wurde noch in meine Wohnung im 2. Stock gebracht, dann war ich allein. Ich wußte nicht weiter.

Meinem Lebens- und Arbeitsgefährten Rudolf Sievers gelang es trotz Lockdown und Kontakverbot noch in der selben Nacht aus Bockenheim zu mir nach Sachsenhausen zu gelangen, wo er dann blieb. Wir hatten zusätzliche Hilfen beim Einkaufen, die wir in großer Dankbarkeit annahmen. So haben wir die Wochen und Monate erst einmal überstanden.

Im April 2021 öffnete die Tagesklinik wieder und ich konnte dort in meiner Gruppe die Behandlung fortsetzen. Auffällig war, dass wir Seniorinnen und Senioren nach einem Jahr Abstand deutlich psychisch und körperlich geschwächt ankamen. Wir wurden endlich weiterbehandelt und teilten in großer Offenheit auch unsere Kindheitstraumata aus dem zweiten Weltkrieg, die durch die Coronazeit wieder hochkamen. Nach meiner Entlassung im Juni 2021 war ich soweit stabilisiert, dass ich die ersten kleinen Schritte im Klinikgarten machte - unter Beaufsichtigung, aber ganz ohne Unterstützung.

Rudolf Sievers und ich hielten uns strikt an die Hygieneregeln und nahmen alle Impfangebote wahr. Als ich im Mai 2022 meinen 80. Geburtstag feiern wollte, musste ich die Einladungen auf verschiedene Termine legen und diese immer wieder verschieben, Familienmitglieder und Freund*innen waren in Quarantäne oder an Corona erkrankt. Die jüngste Schwester meiner Mutter starb im Alter von 96 Jahren völlig einsam im Pflegeheim in Sachsen-Anhalt und war die erste Angehörige unserer katholischen Familie, die eingeäschert wurde.

Im Dezember 2022, als die Coronaregeln gelockert wurden und auch wir aufatmeten, hat mich das SARS-CoV-2 Virus doch noch erwischt. Der Rettungswagen fand kein freies Bett in Frankfurt und brachte mich in die Taunus Kliniken in Bad Homburg. Ich litt dann bis in den Mai 2023 unter den typischen Symptomen von Long Covid, und leide immer noch gelegentlich unter plötzlichen Gliederschmerzen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen.

Wie wird man Corona in 50, in 100 Jahren erinnern? Ich weiß es nicht. Eine Rückkehr in die alten Routinen, in die liebgewonnene "Normalität" fand weder bei mir noch bei vielen anderen Menschen statt. Inzwischen war das Anthropozän als neues Zeitalter ausgerufen worden. Überall auf der Welt werden die Spuren menschlicher Eingriffe auf unseren Planeten deutlich sichtbar und spürbar: Hitze, Dürre, Fluten, Durst, Hunger, Kriege, Migration finden in bisher unbekanntem Ausmaß vor unseren Haustüren statt. Beinahe sieben Millionen Menschen starben bis zum 10. Juli 2023 in Zusammenhang mit dem Coronavirus weltweit. Junge Aktivist*innen fürchten, dass unsere Umweltprobleme in Zukunft noch mehr Todesopfer fordern könnten und machen sich stark für einen Wandel.

Im Mai 2023 feierte Frankfurt am Main 175 Jahre Paulskirche mit einem klaren Bekenntnis zur Demokratie. Wird sie stark genug sein, um an einer friedlichen, gerechten Welt und an der Lösung von Klima- und Umweltproblemen kraftvoll und erfolgreich mitarbeiten zu können? Vielleicht könnte dann Corona in 100 Jahren nicht als Beginn apokalyptischer Zustände, sondern als Weckruf für den Beginn eines weltweiten Umdenkens und gemeinsamen Handelns erinnert werden.

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